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Verstehen kann heilen

Edition No. 80
May. 2010
Prevention pays off!

Interkulturelles Übersetzen. Wenn Sprachbarrieren überbrückt werden, senkt dies Gesundheitskosten. Um dieses viel benutzte Argument für interkulturelles Übersetzen wissenschaftlich zu belegen, hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Vorstudie «Kosten und Nutzen des interkulturellen Übersetzens im Gesundheitswesen» in Auftrag gegeben.

Fouad Mathari, ein Zahnarzt aus dem westlichen Iran, erlebte nach abenteuerlicher Flucht in die Schweiz eine weitere Odyssee: Während sechs Jahren irrte er von Arzt zu Arzt, um seinen schwindenden Gehörsinn und den nervtötenden Tinnitus zu behandeln, bis er – dank einer interkulturellen Übersetzerin – endlich operiert wurde. Heute ist sein Gehör tadellos, er fühlt sich wieder als vollwertiger Mensch.

Ethische Pflicht – ökonomische Notwendigkeit?
Zurzeit leben in der Schweiz ca. 200 000 allophone Personen wie Fouad Mathari, das heisst fremdsprachige Menschen, die sich in keiner der gängigen Landessprachen verständigen können. Das führt zu Verständigungsproblemen mit weitreichenden negativen Folgen, die durch interkulturelle Übersetzer oder Übersetzerinnen verhindert werden könnten. Ihr Einsatz im Gesundheitswesen ist nicht nur aus medizinischen Gründen, sondern auch aus ethischen (z. B. Chancengleichheit beim Zugang zu medizinischen Leistungen) und juristischen Gründen (z. B. Aufklärungspflicht vor medizinischen Eingriffen) erforderlich. Doch auch ökonomische Argumente sprechen dafür.

Wirkungsketten aufzeigen
Um die ökonomische Argumentation belegen zu können, hat das BAG durch das Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien (BASS) die Vorstudie «Kosten und Nutzen des interkulturellen Übersetzens im Gesundheitswesen» erstellen lassen. Diese verfolgt folgende Ziele:
– Qualitative Darstellung der Wirkungs­ketten, die den Kosten und dem Nutzen des interkulturellen Übersetzens zugrunde liegen (Teilbericht I)
– Darstellung des Nutzens des interkulturellen Übersetzens im Gesundheitswesen anhand von drei Fallbeispielen wie jenem von Fouad Mathari (Teilbericht II)
– Prüfung der Machbarkeit und Erarbeitung eines Konzepts für eine allfällige quantitative Kosten-Nutzen-Analyse (Teilbericht III)

Im Teilbericht I (Hauptbericht) erläutern die Autoren insbesondere die wichtigsten Wirkungszusammenhänge sowie Kosten- und Nutzenfaktoren. Sie weisen darauf hin, dass bei der derzeitigen medizinischen Unterversorgung von allophonen Personen ein Übersetzungsangebot neben den direkten Kosten (Arbeits-, Vermittlungs- und Adminis­trationskosten) eine «Mengenausweitung» bewirken kann, das heisst eine erhöhte Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen und folglich mehr Kosten. Diese entstehen zum Beispiel, wenn dank besserer Verständigung mehr Vorsorgeuntersuchungen durchgeführt werden oder das Spektrum möglicher Behandlungen ausgeweitet wird. Dies jedoch als Kosten des interkulturellen Übersetzens zu definieren, käme der Akzeptanz eines medizinischen Zweiklassensystems gleich, in dem allophone Personen im Gegensatz zu Einheimischen kein Recht auf eine differenzierte Diagnose, basierend auf den dafür erforderlichen medizinischen Abklärungen, hätten.
Auf der Nutzenseite des interkulturellen Übersetzens steht klar der Effizienzgewinn. Dieser ist insbesondere dann wahrscheinlich, wenn Verständigungsprobleme zu einer medizinischen Überversorgung der allophonen PatientInnen führen. Beispiele dafür sind unnötige Spitaleinweisungen oder Diagnoseuntersuchungen, die durch Unsicherheit und mangelndes Verständnis zwischen Arzt bzw. Ärztin und Patient bzw. Patientin entstehen.
Den indirekten Nutzen des interkulturellen Übersetzens sehen die Autoren in der besseren Gesundheit respektive im Verhindern negativer Krankheitsverläufe und der entsprechenden Kosten. Sei es, dass dank des Übersetzens vermehrt rechtzeitig eine adäquate Behandlung eingeleitet werden kann, oder sei es, dass die Patienten bzw. Patientinnen Sinn und Ablauf der Therapie besser verstehen, diese besser befolgen und somit schneller genesen.

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Contact

Michèle Baehler, Nationales Programm Migration und Gesundheit, michele.baehler@bag.admin.ch

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